Vor vier Wochen, kurz bevor das Crowdfunding erfolgreich abgeschlossen wurde, erschien im Bonner General Anzeiger ein Zeitungsartikel über die Suche nach den Nachkriegskindern. Tatsächlich meldete sich daraufhin eine ehemalige Teilnehmerin, die sich noch sehr gut an die Studie während ihrer Schulzeit erinnern konnte und sogar noch Ehemaligentreffen organisiert. Das war natürlich toll, weil wir sie so gar nicht mehr suchen mussten. Sie habe noch Fotos und würde gerne mal in ihre Akte reinschauen, schrieb sie uns per Email. Sie wollte natürlich auch an einer neuen Studie teilnehmen, die wir beginnen wollen, sobald viele Nachkriegskinder gefunden wurden und eine neue Studie erfolgreich beantragt wurde. Es meldete sich aber auch ein Fernsehautor, der nach „knallharter Recherche“, so seine eigenen Worte, auf das Thema in der Zeitung aufmerksam wurde und nun gerne einen kurzen Beitrag über die neu beginnende Studie drehen wollte. Damit die Protagonistin ihre Geschichte selbst erzählen konnte, sind wir am 7. März 2014 mit Kamerateam zu ihr zu Besuch gefahren. Wir, das waren Dr. Uwe Kleinemas, das Kamerateam und ich.
Zum einen hatten wir das Ziel die ehemalige Teilnehmerin zu treffen, sie kennen zu lernen und erste Vorgespräche zu führen. Zum anderen wurde der Beitrag gedreht, was einen hohen Aufwand erforderte. So war man Wissenschaftler und Schauspieler in einer Person, was manchmal etwas kurios war, weil ich mich ja manchmal tatsächlich unterhalten wollte, die Regie jedoch dazu aufforderte, den Satz zu wiederholen. Aber die Stimmung war insgesamt sehr positiv und den Dreh zu beobachten war auch sehr spannend. Die ehemalige Teilnehmerin freute sich über den Besuch und die Möglichkeit über ihre Erfahrungen zu erzählen. Ich freute mich über das Interesse für die Studie und hoffe, dass sich bald noch mehr ehemalige Teilnehmer der Nachkriegskinder-Studie nach dem Fernsehbeitrag melden.
Bei der Beschäftigung mit dem Thema Nachkriegskindheit entstanden einige Forschungshypothesen, von denen ich gerne wissen wollte, ob sie auch interessante Forschungsthemen für eine Promotion sein können. Ich habe bereits zur Angst in der Nachkriegszeit meine Magisterarbeit geschrieben, also wollte ich einige Fragen zu diesem Thema stellen. Doch während des sonnigen Tags waren wir meist mit dem Dreh beschäftigt. Dazu gehört häufiges Warten und Wiederholung. Vormittags sind wir mit dem Auto etwa 8 mal mit verschiedenen Kameraeinstellungen um den Hofgarten gefahren, damit später in dem Beitrag gezeigt werden kann, wie wir zur ehemaligen Teilnehmerin fahren. Das hat etwa 3 Stunden gedauert. Auch bei der Fahrt zur Teilnehmerin selbst wurden Pausen eingelegt, die Kamera aufgebaut, neu angefahren, zurückgefahren und so weiter, bis ein „Road Movie“ im Kasten war.
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Kurz nach 14 Uhr sind wir dann beim ehemaligen Nachkriegskind zu Hause in einer hübschen Siedlung angekommen. Ich fühlte mich sofort wie zu Hause bei den Großeltern, im großen Haus mit Eichenmöbel, Teppichen und einem schönen Garten. Dort gab es für alle Kaffee und selbst gemachten Apfelkuchen, bevor es dann an die Arbeit ging. Die Entwicklung über die Lebensspanne für dieses Nachkriegskind scheint sehr positiv verlaufen zu sein.
Unsere Gastgeberin zeigte uns Fotoalben von damals, wie sie als Kind Karneval feierte und zur Kommunion ging. Es waren schöne Geschichten, aber auch traurige Geschichten darunter, doch es blieb nicht genug Zeit sie alle zu erzählen. Die Kamera, das Licht und der Ton waren bereit und nun setzten wir uns vom Gartentisch an die Couch und unterhielten uns mit ihr über ihre Erinnerungen und Gefühle während der Untersuchung. Kurz danach durfte sie als Erste ihre eigenen Akte nach über 60 Jahren noch mal sehen. Ich erklärte ihr die einzelnen Untersuchungsbögen, Uwe Kleinemas erklärte die wissenschaftlichen Hintergründe, wir wurden dann aber mit aller Höflichkeit abundzu mit Regieanweisungen unterbrochen: „Können wir das noch mal drehen?“ Nicht immer kam es darauf an, was überhaupt gesagt wurde, da gerade nur das Blättern des Fotoalbums gefilmt wurde oder das Überreichen der Akte, aber genau in diesen Momenten wurden einige spannende Geschichten erzählen. Vielleicht kann man sich vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man nach über 60 Jahren einen Aufsatz aus seiner Kindheit wieder vorliest: “Mein Leben im Jahr 2000″.
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In den kurzen Momenten zwischen den Dreharbeiten bestätigte sich mein Eindruck, dass das Thema „Angst“, insbesondere die Kriegsangst bei Menschen, die selbst nie einen Krieg erlebt haben, aber mit Menschen aufwuchsen, die mitunter mehrere Kriege erlebt hatten, zu interessanten Forschungsfragen führen kann. Ganz typisch sagte die ehemalige Teilnehmerin dazu: „Wir Nachkriegskinder haben die längste friedliche Periode seit langem erlebt, über 60 Jahre, so lange wie fast noch nie vorher.“ Und doch ist es eine Generation, die indirekt die Angst ihrer Eltern miterlebte, zum Beispiel bei der Kubakrise. Wie sie sich 1962 vor einem „Dritten Weltkrieg“ fürchtete, könnte sie noch gut erinnern und manchmal kommen diese Sorgen heute wieder, wenn man manche Nachrichten, zum Beispiel von der Krim, hört. Aber man darf nicht denken, dass alle Kinder damals oder heute nun ständig Angst oder keine Freude hätten. Als ich ihr ein Bild zeigte, mit Kindern, die in Trümmern spielten, und fragte, was sie dabei denke, sagte sie, dass sie das Bild als ganz normal empfindet. „So war das damals eben. Da konnte man wunderbar drin spielen.“ Sie betrachtete die Kleider und den Leiterwagen und sah die Trümmerhaufen als großen Spielplatz. Wenn ich diese Bilder dagegen sehe, empfinde ich eine gewisse Traurigkeit, da alles um die Kinder herum zerstört war. Die elterliche Beziehung, sowohl zu den Kindern, als auch untereinander, ist ein weiteres Thema, das sehr interessant ist. Über solche privaten Themen wurde aber nur in den kurzen Pausen zwischendurch gesprochen, in denen nicht gedreht wurde, nicht direkt vor der Kamera.
Später wurden wir drei einzeln gefilmt um Statemens abzugeben. Dr. Uwe Kleinemas tat das ganz routiniert, überlegte sich ein paar Sätze und sprach sie klar und deutlich wie ein Nachrichtensprecher, was ganz anders klingt, als wenn man natürlich spricht. Als die Kamera und die Augen von sechs weiteren Leuten im Raum dann alleine auf mich gerichtet waren, wurde ich doch etwas nervös. Ich wurde gefragt, wie lange die Vorbereitung dieses Moments gedauert hatte, und wie ich mich nun fühlen würde, da ich zum ersten Mal mit einem Nachkriegskind persönlich sprechen konnte. Meine Rolle war es die “Emotionen eines jungen Forschers” rüberzubringen. Ich brauchte ein paar Anläufe und musste ein paar Mal tief durchatmen und irgendwann waren ein paar Statements mehr oder weniger holprig aufgenommen. Das war Medientraining “on the go” für den “Jungforscher”.
So hätte ich gerne auf die Frage geantwortet, wie ich mich nun fühle, nachdem wir nun ein Nachkriegskind wiedergefunden hätten:
Es ist toll endlich soweit zu sein, dass wir die ehemaligen Teilnehmer wiederfinden können. Vor 5 Jahren war ich noch studentische Hilfskraft, habe Protokoll geführt und durfte kurz in die Akten blicken, um die Teilnehmer dann zu suchen. In dem Moment wusste ich, dass in den Akten viele Geschichten der Nachkriegsgeneration stecken, die erzählt werden wollen. Aber auch die psychologischen Erkenntnisse, die man mit diesen Akten gewinnen kann, schienen mir es wert zu sein, auch wenn es lange dauert. Und jetzt sitzen wir hier bei einer ehemaligen Teilnehmerin, die uns Kaffee und Kuchen serviert und uns Geschichten von früher erzählt, die sie vielleicht nur in ihrer Familie besprochen hat, die aber vieles erklären können. Das ist persönlich unglaublich bereichernd und auch aus Forschungssicht sehr spannend. Aber das ist ja auch erst der Anfang des Forschungsprojekts.
„Wie soll es danach weitergehen?“
Erst mal geht natürlich die Suche weiter, wir möchten ja so viele ehemalige Teilnehmer wie möglich wiederfinden. Danach wollen wir nach über 60 Jahren eine neue Studie mit den nun gealterten Nachkriegskindern beginnen, eine Studie über die Lebensspanne dieser Generation. Der Grundstein dazu wurde nun hoffentlich gelegt.
„Vielen Dank für das Gespräch!“
Gerne!
Wie der Fernsehbeitrag dann tatsächlich aussieht, ist auch für mich noch eine Überraschung. Zuerst wird Ende des Monats noch im Archiv gedreht und weitere Interviews mit beteiligten Forschern geführt. Sobald es gesendet wird, werde ich berichten.